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Letter from Munich – 013

Letter from Munich – the Joseph Affair – 13

EINE DEUTSCHE FASSUNG STEHT WEITER UNTEN.

6 April 2001

Dear Mr. Graf, dear friends,

“On 30 March,” said Alexandra, “a program on German state television called the ARD-Morgenmagazin reported that the largest number of NPD members is concentrated in the state of Saxony, where the boy Joseph was killed. The NPD, as you know, is Germany’s foremost neo-Nazi party, the one the government is trying to have banned.”

“So what?” asked Gerhard. “That proves nothing. It certainly doesn’t prove that Kurt Biedenkopf, the Prime Minister of Saxony, exerted any influence on the investigation of the boy’s death. It doesn’t prove that Biedenkopf had the investigators manipulate evidence, in order to indicate that the boy died of an accident. It doesn’t prove that Biedenkopf had witnesses intimidated. It doesn’t prove that he’s orchestrating a campaign to drive the parents into economic ruin. It doesn’t prove that he’s trying to have them punished for even suggesting the presence of right-wing elements in Saxony.”

“No, you’re right,” said Alexandra quietly. “It proves none of those things.”

“Anyway, who cares about the real cause of the death of one little boy?” He stared at her for a moment. “I’ll tell you who.” Louder now. “No one. No one cares. And the sooner you understand that, my dear, the better off you’ll be. Little boys die every day, some are even murdered, and does anybody give a damn? Of course not.”

Alexandra sat motionless.

“Certainly nobody in Germany gives a damn about one little boy in Saxony.” His voice was low. He spoke rapidly. Seemingly unstoppable. “What you don’t seem to understand is that what is important in this country is order. Order. That’s all people really care about. And if the government has been able to put forward a plausible case, in order to convince everyone that the parents are crazy, that the boy died as the result of an accident, that there are no neo-Nazis in the town where he was killed, and that the parents – even though crazy – ought to be ostracized, ruined and otherwise punished for demanding justice, that’s all people care about. Order. Plausibility. Believing what the government tells them. Anything else disturbs their lives.”

“A year, five years, fifty years,” said Alexandra, “is a long time to keep something a secret. This past week in Ravensburg former SS-Untersturmfuehrer Julius Viel was convicted of murdering seven concentration camp prisoners in fifty-six years ago. His conviction was based on the testimony of an eye-witness who could no longer, after half a century, keep silent. Viel was given what is, in effect, a life sentence”. She straight into Gerhard’s eyes. “The fact is, all those who try to pervert justice – whether their names are Julius Viel, Slobodan Milosevic, or Kurt Biedenkopf – always have to answer for what they have done.”

I was shocked, indignant, even outraged that she could say something like that. How could she compare kindly old Kurt Biedenkopf, Saxony’s friendly grandfather, to Slobodan Milosevic? But what could I say to someone as intelligent as Alexandra? I’m just an ordinary person.

Sincerely yours,

Robert John Bennett

Mauerkircherstrasse 68

81925 Germany

Telephone: +49.89.981.0208

E-Mail: rjbennett@post.harvard.edu

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Since many recipients of this letter may read German more easily than they read English, the following is the author’s own translation of the above letter. Please note that word-processing programs outside of German-speaking countries may not display all of the letters of the German alphabet correctly.

Bitte vergessen Sie nicht, dass der Autor dieses Briefes Autodidakt ist, was die deutsche Sprache betrifft, und er weiß, dass die folgende Übersetzung viele Fehler enthält. Er hofft aber, man werde diese Fehler übersehen, um hinter den Fehlern das sehen zu können, was in diesem Schreiben und in dieser Affäre von zentraler Bedeutung ist.

München, den 6. April 2001

Sehr geehrter Herr Graf, sehr geehrte Freunde,

„Am 30. März“, sagte Alexandra, „hat die Sendung ‚ARD-Morgenmagazin’ berichtet, dass man zum jetzigen Zeitpunkt in Sachsen, wo das Kind Joseph ermordet wurde, die größte Anzahl NPD-Mitglieder findet, größer als in jeder anderen Land der Bundesrepublik.“

„Na und?“ erwiderte Gerhard. „Was soll denn das beweisen? Du hast immer noch überhaupt keinen Beweis dafür, dass Kurt Biedenkopf Einfluss auf die Ermittlung in dem Tod des Kindes geübt hat. Du hast keinen Beweis dafür, dass Biedenkopf die Untersuchungsbeamten Beweismaterial manipulieren ließ, um zu zeigen, dass das Kind bei einem Unfall starb. Du hast keinen Beweis dafür, dass Biedenkopf die Einschüchterung der Augenzeugen befahl, um diese zum Schweigen zu bringen. Du hast keinen Beweis dafür, dass Biedenkopf eine Kampagne orchestrierte, um die Eltern in den Ruin zu treiben. Du hast keinen Beweis dafür, dass Biedenkopf versucht, die Eltern strafen zu lassen, weil sie behaupteten, dass es Rechtsradikale in Sachsen gibt“.

„Nein, du hast Recht“, sagte Alexandra leise. „Ich habe für all das gar keinen Beweis“.

„Auf jeden Fall, ist es nicht allen gleichgültig, was oder wer den Tod eines kleines Kindes verursachte?“ Er starrte sie einen Augenblick an. „Du weißt so gut wie ich, die Antwort darauf lautet ja“. Seine Stimme wurde jetzt lauter. „Allen. Allen ist es gleichgültig, wie das Kind starb. Und je schneller du das nachvollziehst, meine Liebe, desto besser wird es dir gehen. Kleine Jungen sterben jeden Tag; einige davon werden sogar ermordet. Und gibt es einen einzigen Menschen in diesem Land, dem es nicht scheißegal ist? Natürlich nicht.“

Alexandra bewegte sich nicht.

„Selbstverständlich ist ein kleines Kind aus Sachsen allen in Deutschland scheißegal.“ Seine Stimme wurde tiefer, leiser. Er sprach schnell. Anscheinend nicht aufzuhalten. „Meiner Meinung nach, kannst du einfach nicht begreifen, dass das echt Wichtigste in diesem Land Ordnung ist. Ordnung über alles. Dafür interessiert sich jeder hier. Nur das. Und wenn der Staat mit plausiblen Argumenten dafür aufwarten kann, dass die Eltern verrückt sind, dass das Kind bei einem Unfall starb, dass es gar keine Neonazis in Sebnitz gibt, und dass die Eltern – obwohl verrückt – geächtet, ruiniert und anderweitig bestraft werden müßten, und wenn diese Argumente wenigstens halbwegs überzeugend sind, dann ist das alles, wofür die Menschen in diesem Land sich interessieren. Ordnung. Plausibilität. Glaube an alles, was der Staat einem sagt. Alles andere stört einen“.

„Ein Jahr, fünf Jahren, fünfzig Jahren“, sagte Alexandra, „das ist eine sehr lange Zeit, etwas geheim zu halten. Diese Woche in Ravensburg wurde der ehemalige SS-Untersturmführer Julius Viel daran schuldig gesprochen, dass er vor fünfundsechzig Jahren sieben KZ-Gefangene kaltblütig erschossen hat. Er wurde auf Grund der Aussage eines Augenzeugen, der nach einem halben Jahrhundert nicht mehr schweigen konnte, für schuldig erklärt. Julius Viel wird für sein Verbrechen praktisch lebenslänglich gefangen gehalten werden. Genauso wie all diejenige, die versuchen, die Justiz zu behindern – ob sie Julius Viel, Slobodan Milosevic, Kurt Biedenkopf oder was auch immer heißen – eines Tages die Verantwortung dafür übernehmen müssen, was sie getan haben“.

Ich war völlig schockiert, entrüstet, sogar darüber empört, dass sie so etwas sagen konnte. Wie konnte sie ein gutiger alter Mann wie Kurt Biedenkopf, der Großvater von Sachsen, mit Slobodan Milosevic vergleichen? Aber was konnte ich sagen? Alexandra ist eine außerst intelligente Frau. Und ich bin schließlich nur ein Durchschnittsmensch.

Mit freundlichen Grüßen

Robert John Bennett

Mauerkircherstrasse 68

81925 Germany

Telephone: +49.89.981.0208

E-Mail: rjbennett@post.harvard.edu

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